„Große Männer soll man bewundern, aber man soll sie niemals kennen lernen.“
Ein Einblick in ein (ungewöhnlich frisches) Drama von Hasenclever und Tucholsky. WER? König Ferdinand von Aragon, Königin Isabella von Kastilien. Luis de Santangel, Kanzler. Antonio de Quintanilla, Schatzmeister. Der Kardinal-Erzbischof von Toledo. Christoph Kolumbus. José Vendrino. Marquise de Moya und andere. WO und WANN? Spanischer Hof. Amerika. Sevilla. 1492 und 1505. WAS? Nach einem kurzen satirischen Vorspiel mit einer Geschichtsstunde zum Thema Kolumbus springt das Drama im ersten Bild an den spanischen Königshof. Klatsch und Tratsch, Intrige, Suche nach Geld, Gerangel um Macht und Einfluss bestimmen das dortige Klima. Kolumbus gelingt es dank der Unterstützung der Königin, drei Schiffe für die Fahrt nach Indien zu bekommen. Der wissenschaftliche Streit um die Kugelgestalt der Erde wird durch den Blick auf mögliche gute Geschäfte entschieden. Finanzielle Beteiligungen sind das Schlüsselwort. Der Träumer und naive Patriot Kolumbus wirkt in diese Welt wie aus der Zeit gefallen.Mit diesem Erobererklischee wurden einst ganze Generationen versorgt.
Die letzten Vorbereitungen vor der Ausfahrt der Schiffe verdeutlichen, dass es sich bei Kommissar Vendrino, der im Interesse der Hofbeamten Kolumbus begleitet, um einen Gauner handelt. Da der profitgierige Vendrino Geld sparen will, kauft er minderwertigen Proviant und zwingt Strafgefangene, als Matrosen an Bord zu kommen. Der Erzbischof segnet die Waffen und schiebt alle weitere Verantwortung den Politikern zu. Die Kirche steht stets bei der politischen Macht. Nach 70 Tagen auf dem Atlantik steht auf der Santa Maria, dem Flaggschiff des Admirals, eine Meuterei kurz bevor. Die Aggressivität der Mannschaft wächst, die Verpflegung ist verdorben, der Appell an den Patriotismus der Spanier verpufft. Gerettet wird Kolumbus durch den Ruf „Land!“ seines Dieners, der für einen positiven Stimmungsumschwung sorgt. Kolumbus und seine Mannschaft stoßen auf einen neuen Kontinent, der ohne Waffen, Währung und Wirtschaft existiert – und das in großem Frieden. Die Menschen führen ein genussvolles Leben, das von Feiern, Rauchen und Spielen bestimmt ist. Vendrino spricht von „nötiger Ordnung“ (S. 78), Kolumbus von den „Segnungen der Kultur“ (S. 78), die es den Indianern zu vermitteln gebe – unangemessener können diese Worte in einer Idylle, wie sie die Komödie vorstellt, kaum sein. Kolumbus will Frieden, Vendrino Geschäfte, aber das alles wird von den Einwohnern nicht ernst genommen. Kolumbus erfährt als verehrter Gast des Häuptlings von einer Tänzerin, was „tabu“ bedeutet, und dass eine Gesellschaft, die von Frauen geleitet wird, sehr gut und harmonisch funktionieren kann. Nach Madrid zurückgekehrt, kommentieren die Berater bei einem Frühstück mit dem Königspaar ohne Kolumbus, dass die Indianer in den entdeckten Gebieten verschwunden seien und dass die Goldausbeute unzureichend sei. Da die Portugiesen in der Zwischenzeit den Seeweg nach Indien entdeckt haben, und da Kolumbus nur auf unbedeutende karibische Inseln gestoßen war, gehen die Finanzleute des Hofes von Ländereien ohne größeren Wert aus. Aber trotzdem sollen auch diese Territorien mit Vendrino als neuem Gouverneur ausgebeutet werden. Nicht das vergebens gesuchte Gold, sondern die Kartoffel in Gestalt des Puffers mit Preiselbeeren tritt dank des Appetits des Königs ihren Siegeszug am spanischen Hof an. Auch die Entdeckung des Tabaks ändert nichts an der Entmachtung von Kolumbus. Im letzten Bild, über zehn Jahre nach der Entdeckung Amerikas, erscheint Amerigo Vespucci in Sevilla in einer Kneipe, um den großen Entdecker Kolumbus kennen zu lernen. Die alten Seefahrer nehmen an ihrem Stammtisch Vespucci nicht ernst; Kolumbus spricht von Possen und nicht von Weltgeschichte, wenn es um seine Fahrten und um seine Person geht. Aus Zufällen und burlesken Szenen wird eine bedeutende Geschichte von Mächtigen für das einfache Volk phantasiert. Ein Beispiel ist die Anekdote vom „Ei des Kolumbus“. Vespucci war auf der Suche nach einem Helden und findet einen alten Mann, der die Geschehnisse der Welt sarkastisch kommentiert. Memoiren würde Kolumbus nur schreiben, wenn er etwas zu verbergen hätte.Bühnenbild-Entwurf für die Kolumbus-Inszenierung in Dortmund 1959 von Carlo Coehne
Hinweise und Interpretationen Diese Komödie enttarnt mit Wortwitz und Tempo das Märchen von den großen Männern, die Geschichte machen. Die Autoren erinnern mehrfach an die Einsicht Brechts, dass es um ein Land schlecht bestellt sei, das Helden nötig habe. Intrigen und Selbstsucht bestimmen das Bild am spanischen Hofe. Karriere macht der Kommissar Vendrino, der stets opportunistisch und rücksichtslos handelt. Für die Zuschauer bringen die Enden der sechs Bilder jeweils die mit Witz transportierte Botschaft der hemmungslosen wirtschaftlichen Gier der Verantwortlichen und der Manipulation der Geschichte auf den Punkt: Am Ende von Bild eins (S. 40) zerreißen die Funktionäre das Blatt des Kolumbus, der seine Bedingungen diktieren wollte. Die Ausbeutung künftiger Kolonien ist beschlossene Sache, der Admiral ist nicht mehr als ein Werkzeug. Das Ende des zweiten Bildes (S. 53/54) zeigt die Macht der wortgewaltigen Bürokraten, die auch steuerliche Auflagen nach Belieben manipulieren. Das Leben auf hoher See ist einfacher, als im Hafen die Forderungen der Bürokraten zu erfüllen. Die drohende Meuterei an Bord der Santa Maria (S. 74/75) beendet der Ruf „Land!“, das der treue Diener von der Latrine(!) aus gesehen hat. Die Wendehälse der Offiziere und die Mannschaft singen die Hymne, und Kolumbus ist zunächst gerettet. Das Thema des berühmten Mannes dominiert den Schluss von Bild vier (S. 89/90). Die schöne indianische Tänzerin verführt den Admiral, der vor lauter Patriotismus und Entdeckerfreude den Blick für menschliche Freuden und Leiden verloren hat. Das vorletzte Bild besiegelt den Untergang von Kolumbus am spanischen Hof und spült den Geschäftemacher Vendrino nach oben, wenn dieser Emporkömmling auch nicht ahnt, dass seine Geliebte längst bei einem anderen Hofschranzen fündig geworden ist. In der allerletzten Szene prophezeit der weltfremde Kolumbus seinem neu entdeckten Kontinent eine traurige und bedeutungslose Zukunft. Nach diesen Worten wird das Bühnenbild zum Times Square in New York. Jazz ist zu hören, Leuchtreklamen strahlen (S. 110/111). Hier können die Autoren ihren Protagonisten Kolumbus nur noch ironisch das Bibelwort „Kommet her zu mir alle, die ihr mühselig und beladen seid“ zitieren lassen. Amerika als das Paradies der Welt? Eher der zu Ende gedachte egoistische Geschäftssinn, der fast alle Personen der Komödie charakterisiert und nur in der Satire aushaltbar ist. Die Musik spielt nicht nur in dieser Schluss-Szene eine Rolle. Auch in allen weiteren Bildern wird im Hintergrund musiziert oder von den Matrosen deftig gesungen. Seien es Bänkelgesänge, Balladen, Spottlieder – die Lieder greifen die Kritik der Komödie gezielt auf und schaffen Raum für das nötige Durchatmen der Zuschauer, die von den schnellen und witzigen Dialogen in Atem gehalten werden. Keine gesellschaftliche Institution ist vor der Kritik der Autoren sicher. Ein korrupter Hofstaat, eine nach Macht strebende Kirche, eine rücksichtslose Geschäftswelt. Die gelebte Utopie der Indianer ohne Währung, Waffen und Handel bringt ihnen den Tod. Fazit: Nicht große Männer gilt es zu bewundern, sondern an einer Gemeinschaft zu bauen, die keine Täuschung oder Manipulation braucht, sondern einen Blick für Menschen, die „unten“ stehen und um ihre Existenz kämpfen. Mit viel Freude und Witz beleuchtet die Komödie das Verhältnis von Mann und Frau, wobei die Positionen eindeutig sind: Die Welt wäre mit einer Herrschaft von Frauen besser dran. Paradigmatisch ist hier das Königspaar: Der hypochondrische Ferdinand als Witzfigur, der allerdings den Kartoffelpuffer aus der Neuen Welt zu schätzen weiß. Im Gegensatz dazu die machtbewusste Isabella, die die Zügel fest in der Hand hält, aber von einer Gruppe unfähiger und korrupter Beamten umgeben ist. Gelungen mit Blick auf das Verhältnis von Frau und Mann ist die Verführungsszene mit der Tänzerin Anacoana am Ende des vierten Bildes. Diese indianische Schönheit bringt dem schüchternen Kolumbus auch das neue Wort „tabu“ bei. Etwas nicht anrühren zu dürfen bekommt einen doppelten Sinn: Wer den Geschäftssinn der Eroberer in Frage stellt, der stirbt daran. Die Besitzgier der Spanier ist für die Indianer tabu. Das Programm dieser Komödie ist auch die Kritik vieler scheinbar unumstößlicher Werte der bürgerlichen Bildung. Die Taten großer Männer, die Segnungen europäischer Kultur, der Mut untenehmenslustiger Völker wie der Spanier, die Missionierung anderer Nationen – das ist fragwürdig und in der Lebenspraxis oft verbrecherisch. Das Pathos der Eroberer erweist sich in der geschichtlichen Wirklichkeit oft als „Posse“ (S. 109), Anekdoten vermeintlicher Heroen werden erfunden, um Männer als besonders mutig zu beschreiben. Hinter den großen Worten verbergen sich oft Erlebnisse des Alltags, doch der Öffentlichkeit wird die Legende präsentiert. „If the legend becomes truth, print the legend!“ Dieser Satz aus einem Film von John Ford (erst in den fünfziger Jahren des vorigen Jahrhunderts formuliert) passt auf die Realität der Entdeckung Amerikas. Deportation oder Disputation, geruht oder gehurt – auch mit Wortspielen und semantischen Verdrehungen arbeitet diese Komödie. Dabei ist das Tempo so hoch, dass ein zu langes Lachen die nächste Pointe verderben kann. Hier ist der Text der beiden Autoren oft frisch und amüsant. (P.S. Es gibt eine ARD-Verfilmung dieser Komödie aus dem Jahr 1969 von Helmut Käutner mit beeindruckender Besetzung.) Einen Kompass für den Entdecker sucht der Leser im knappen Vorspiel (S. 21 f.), in der Welt des Hofes gibt es diese Orientierung für den patriotischen Seefahrer nicht. Nur auf hoher See wird Kolumbus als Admiral und Kartograph geduldet. Spätestens an Land, unter dem Einfluss gewinnsüchtiger Höflinge zählt nur noch der mögliche Profit als Handlungskriterium. „Der Mensch vergaß die Sorgen des Alltags über dieser ungeheuren Entdeckung – hier war ein Wendepunkt in der Geschichte der Menschheit“ (S. 22). Diese Einschätzung des Vorspiels führt die Komödie ad absurdum. Lieber ein gewöhnliches Leben, das den Menschen ein Auskommen beschert, als die im Stück aufgeführten Handlungen von Lug und Trug, Bereicherung und Täuschung. Zum Abschluss ein Blick auf das Vokabular: Schon 1932 machen sich die Autoren über das Geschwafel von der „historischen Stunde“ und den „Endsieg“ lustig (S. 23). Nur der materielle Vorteil zählt, der Seeweg nach Indien muss her; die Kirche setzt keine ethischen Grenzen, sondern verbrennt Ketzer und achtet auf die Vergrößerung der eigenen weltlichen Macht. Die Kugelgestalt der Erde wird nicht wissenschaftlich begründet, sondern durch die Aussicht auf Gold und Gewinn entschieden. Wer bezahlen kann, der bestimmt auf allen Ebenen. Auch neunzig Jahre nach ihrer Entstehung bleibt diese Komödie eine unterhaltsame Lektüre. Die Biographie des Entdeckers Kolumbus kennen Hasenclever und Tucholsky genau. Sie ziehen aus dem Spiel mit den historischen Figuren Gewinn für ihre Absicht, neben der Unterhaltung auch belehrend zu wirken. Die Gesetze des kapitalistischen Marktes werden mit dem Schlussbild New Yorks erneut thematisiert; das könnte auch in einer zeitgenössischen Aufführung funktionieren. Viel Freude bei der Lektüre! Axel Schneider