Hasenclever

Ralf Rothmann

Ralf Rothmann

Aus seiner Rede zur Verleihung des Walter-Hasenclever-Preises 2010
(WHG-Jahrbuch 2010/2011, S. 13 f.

Walter Hasenclevers Naturell, soweit ich es aus seinen biografisch getönten Werken erkennen kann, war eines, das mir nicht ganz unvertraut ist.
Feinnervig, scheu, humorvoll und dennoch mit einer Anlage zur hysterischen Selbstbehauptung und zum nervösen Magenleiden; in der Jugend mit großem Feuer revoltierend, im Mannesalter dem Eros in allen Spielarten verfallen, und in den reiferen Jahren, wenn die mühsam erarbeiteten Antworten auf die Fragen des Lebens schon wieder brüchig werden, sich der Mystik überlassend.

Auf den Fotos, die es von ihm und Tucholsky, Sieburg, Toller, Werfel oder Pinthus gibt, sieht er stets ein wenig abgesondert und vereinzelt aus. Offenbar fehlte ihm die fraglose Chuzpe, von der einige seiner Freunde zu viel hatten. Dabei fühlte und dachte er – das zeigt nicht nur sein Roman Irrtum und Leidenschaft oder das hellsichtige Nachwort zu seiner Swedenborg-Übersetzung – oft tiefer und weiter als seine wortgewaltigen und auftrittssicheren Kollegen. Beflügelt von fernöstlicher Spiritualität, wagte er sich immer wieder in Bereiche jenseits des Denkens, also der Sprache, und ich kann mir vorstellen, dass er ihnen deswegen nicht selten suspekt war, zumal er über eine Eigenschaft verfügte, die auch heute nur die wenigsten Schriftsteller haben, und die sein Verleger Kurt Wolff, der ihn dreißig Jahre lang kannte, in dem Satz zusammenfasste:
Es war so schön, dass er sich durchaus nicht ernst nahm.“
Das ist erstaunlich bei einem, auf dessen Lebensweg, auch auf den steinigen Abschnitten, immer der Säulenschatten der Weimarer Republik lag.

Die Sprache Goethes zu sprechen bedeutete ihm Erbe und Verpflichtung, und oft genug mochte er auf ihren Papierklang, den es hier und da gibt, und den Gestus der Bedeutsamkeit hereingefallen sein. Aber auch wenn sie von demselben gebraucht wurde, die zweimal in seinem Leben die Welt mit Tod und Terror heimgesucht haben, blieb sie ihm stets Ausdruck der Humanität und Wortlaut des Menschenmöglichen im besten Sinn.
An ihr, mit ihr und durch sie bildete sich sein Selbstverständnis heraus, seine Persönlichkeit – eine stets gefährdete, oft sich zerquälende und am Ende resignierte, das ist bekannt, aber doch von beispielhafter Unbestechlichkeit, deren Würde heute noch Kraft und Zuversicht zu geben vermag. …

Dass einer wie Hasenclever nicht seinen Humor und seine Selbstironie verlor, dass er immer wieder die Kraft aufbrachte, sich und seine Leiden nicht allzu ernst zu nehmen, und dabei doch ein mitfühlender und bis zuletzt fürsorglicher Mensch blieb, sogar noch im Gefangenenlager, zeugt von seiner Größe, die einen deswegen auch so anrührt und bestärkt, weil sie Ausdruck dessen war, was immer der goldklare Gipfel jeder persönlichen Entwicklung sein wird: Innere Freiheit.

Sie, die sich der lebenslangen Hingabe an die geistigen, erotischen und metaphysischen Möglichkeiten der Poesie verdankte, war sein eigentliches Haupt- und Meisterwerk, und noch der letzte, der allerletzte Schritt, den er wagte, war Ausdruck dieser Freiheit.“

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