Hasenclever

Robert Menasse

Robert Menasse
Aus der Dankrede zum Walter-Hasenclever-Preis 2018
(WHG-Jahrbuch 2018/2019, S. 139 f.)

„Wie glücklich und beschwingt war ich, als ich erfuhr, dass mir der Walter-Hasenclever-Literaturpreis der Stadt Aachen zugesprochen wurde. Anerkennung! Geld! Ansporn!
Der Dank der Öffentlichkeit, die jetzt zweifellos auch in Zukunft Erwartungen und die schönsten Hoffnungen in mich setzt. Ich sitze allein in meinem Zimmer und sehe mich gesehen!
Ich finde es auch sinnig, dass ich einen Preis bekomme, der nach Walter Hasenclever benannt ist. Nicht, weil ich ein Hasenclever-Spezialist wäre (mir war Hasenclever bloß ein Begriff, weil ich ein fleißiger Germanistik-Student war und gute Lehrer hatte), und auch nicht, weil ich jemals gesagt habe oder sagen würde, dass ich mich wesentlich in der Tradition Hasenclevers sehe. Aber ich habe doch jetzt das Gefühl, dass gerade jetzt meine literarischen Ansprüche und auch meine  Ängste einige Beziehung zu Walter Hasenclever haben …

Ich lebe heute in Wien, einer der lebenswertesten und bestverwalteten Städte der Welt, die zum Echoraum von  Ressentiment, Xenophobie und Zynismus geworden ist.
Ich sehe Hass in den Gesichtern von Menschen, die ‚Wir sind das Volk’ skandieren und die deshalb nur glauben, die Mehrheit zu sein, weil sie allen anderen absprechen, zum Volk zu zählen. Ich sehe Politiker, die deren Ängste ‚ernst nehmen’, aber nicht meine Ängste vor denen …
Ich sehe Menschen, die die Menschenrechte für einen Kuchen halten, von dem man nur dann eine Schnitte bekommen soll, wenn man den richtigen Pass hat, nämlich ihren.
Und ich sehe Politiker, die diesen Menschen versprechen, dass sie dafür sorgen werden, dass nicht zu viele den richtigen Pass bekommen. Denn wenn man die unteilbaren Menschenrechte doch teilt, dann ist für viele nichts mehr übrig.
Ich sehe Konflikte und Kriege zwischen Religionen, die nicht beweisen, dass ohne Gott alles erlaubt ist, sondern, dass mit Gott alles erlaubt ist.
Und ich sehe die Finger, mit denen der Journalist Kashoggi geschrieben hat, abgehackt und in Säure aufgelöst, und ich sehe darin das Säurebad unserer Werte. Und ich kenne jetzt auch den Preis unserer Werte: 5, 73 Milliarden.
[Das ist die Summe, die Saudi-Arabien für Waffenlieferungen aus Europa bezahlt.]

Walter Hasenclever starb von eigener Hand, verzweifelt von den Weltenläuften, die diesen kreativen, sozialen, analytischen Geist in ein schwarzes Loch stießen, diesen großherzigen Freund seiner Freunde, der heiter blieb, solange es irgend ging.
Er starb an einem 21. Juni in finsterer Zeit.
An einem 21. Juni wurde ich geboren, in einer Zeit der Pastellfarben.

Ich hatte Glück, ich kam in Freiheit und Rechtsstaat zur Welt, in einer Zeit der schönsten Zukunftshoffnungen. Und heute sehe ich den Rechtsstaat und seine Werte in Gefahr, und ich sehe keinen Optimismus und keinen Anlass für Optimismus.
Wird das weiße Blatt, auf dem wir unsere Geschichte schreiben, dunkel?
Es macht mich sprachlos, im Moment buchstäblich.

Daher immer nur dieser eine Satz, den ich seit Tagen schreibe, immer nur dieser eine Satz, nach dem ich nicht weiter weiß. Aber ich werde weiterhin jeden Tag diesen einen Satz schreiben, bis ich einen zweiten habe, besser aber einen neuen ersten.
Jetzt verrate ich Ihnen diesen Satz, den ich seit Tagen schreibe. Er lautet:

Ich muss neu beginnen.

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