Hasenclever-Literaturpreis

Stefan Porombka für Michael Lentz

Aus der Laudatio von Stefan Porombka für Michael Lentz
(WHG-Jahrbuch 2012/2013, S. 25 f.)

Michael Lentz ist beim National Poetry Slam 1998 zum Deutschen Meister gekürt worden. Und man kann vom Poetry Slam halten, was man will, aber für Autoren ist es das, was die Amerikaner School of the Hard Knocks nennen: die Schule der harten Schläge.
Wer immer durch diese Schule gegangen ist und dann jemals den gehobenen Literaturbetrieb erreicht, dessen Auftritte sind geschliffen, kraftvoll, durchdacht, unterhaltsam, niemals langweilig. In Lentz’ Fall sind sie obendrein elektrisierend und führen wie auf einen Punkt gebündelt vor, dass hier jemand von dem, was er vorführt, was er aufführt, was er spricht, selbst bewegt wird und die Bewegung ans Publikum weitergibt.
Michael Lentz unterscheidet sich damit vom säuselnden Autor, den wir alle als Typus von irgendwelchen Lesungen kennen. Jener Typ von Autor, der seine Prosa als literarischer Süßholzraspler vorträgt und dabei versucht, die Leser als kulinarisch und feingeistig einzuschäumen oder mit dem Singsang seiner Stimme, wie es dann immer so schön heißt, in seine Geschichten hineinzuziehen.
Michael Lentz liefert für diese Art der Literatur und literarischen Kitschkultur das erholsame Kontrastprogramm. Er gehört zur Familie der Maniker unter den Autoren, Schriftstellern, Dichtern, die eine starke Erregung vorführen, eine intensive Umtriebigkeit, eine rastlose Aktivität und Unruhe. […]
Das Manische gibt es bei Lentz vor allem als Bruch, als ein Vorführen von Zerlegtem und Zerbrochenem. Es sind zerlegte, zerbrochene Worte, zerlegte, zerbrochene Sätze, die im Moment des Zerbrechens gesprochen und zugleich neu zusammengefügt werden. Und zwar so, dass sie sich nicht sinnhaft fügen, sondern den Moment ihres Gefügtwerdens ausstellen. So schauen und hören wir Lentz zu und folgen ihm lesend dabei, wie er uns vorführt, wie man Sprache mit Wucht auseinandernimmt und wieder zusammensetzt.
Das hat immer etwas Irritierendes, manchmal etwa Beklemmendes, Verstörendes.
Es kann aber auch komische Züge tragen, nämlich immer dann, wenn sich plötzlich durch neue Fügungen wie durch Zufall ein neuer Sinn herstellt oder etwas, das wir als sinnverwandt kurz aufblitzen sehen.
Am drängendsten wird das alles bei Lentz, wenn diese Bewegung des Zerlegens, Legens und Wiedermischens selbst eine neue Art von Sound erzeugt, der sich selbst überlassen ist. Es ist dann ein großes Sprach- und Sprechspiel, das sich von selbst bewegt und bei dem es so scheinen mag, als ob Lentz von diesem Spiel selbst bewegt wird und seine Hörer und seine Leser mit ihm. […]
[Die Antwort auf die Frage], was der Autor Michael Lentz eigentlich vorführt und was er uns so anders vorführt als all die Schriftsteller, die um ihn herumstehen, lautet:
Mit jeder Sammlung von Gedichten oder Prosatexten oder poetologischen Reflexionen bekommen wir kein – im alten Sinn – fertiges Werk. Wir treten stattdessen ein in eine Situation, in der alles live stattfindet und in der sich immer erst JETZT entscheidet, was eigentlich passiert. Was wir von Lentz vorgeführt bekommen, ist eine empathische Gegenwartsliteratur. Es ist eine Literatur, die durch die Performance ihr eigenes Jetzt herstellt und in diesem Jetzt, so wie jedes gute Live-Erlebnis, gespannt macht auf das, was als Nächstes passiert.
Wo wir Lentz sehen, lesen und hören, interessieren wir uns deshalb auch nicht wirklich für die Vergangenheit – und das auch dort nicht, wo er selbst in Traditionslinien verortet, die in den Avantgardismus des 20. Jahrhunderts hinab führen. Denn er bezieht sich auf andere Autoren, Dichter, Poeten, Theoretiker so, als wären es Kollegen, als stünden sie JETZT, also live neben ihm, als wären sie Teil seiner Vorführung, und als würde er sie genau jetzt dafür brauchen, um sich selbst mit Energie zu versorgen, die notwendig ist, um das nächste Kraftstück in Angriff zu nehmen.
Das ist jetzt wohl eine noch genauere und viel bessere Definition für das, was der Autor Michael Lentz uns vorführt, also live vorführt: Er bleibt dran. Er ist nah bei den Dingen, bei den Texten, bei der Sprache.

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