„Ein Held gehört ins Museum“
Walter Hasenclever: Napoleon greift ein. Ein Abenteuer in sieben Bildern. Entstanden 1929. Uraufführung 1930 Eines der gelungenste Lustspiele Hasenclevers! Es amüsiert die Zuschauer , und gleichzeitig denken wir über die Frage nach: Warum kamen nicht schon Ende der 20er Jahre trotz Völkerbund die Vereinigten Staaten von Europa zustande? Der Reihe nach: Napoleon lässt sich im Pariser Wachsfigurenkabinett vom Frauenmörder Landru Mussolinis Hose besorgen, um an einer internationalen Konferenz teilzunehmen, verlässt das Musée Grévin, mischt sich in die Politik der Amerikaner und Europäer ein, verliebt sich in die Schauspielerin Josephine, erfährt von ihrer historischen Untreue als Josephine Beauharnais und ermordet sie deshalb während anberaumter Filmaufnahmen – so zumindest in der ersten Fassung Hasenclevers. In der zweiten Version darf die Akteurin aus einer Ohnmacht erwachen, und Napoleon landet nach einem Umweg über das Irrenhaus wieder im Museum. Er ist um die Erkenntnis reicher, dass eine Zeit endgültig vorbei ist. Im Museum ist Napoleon in illustrer Gesellschaft: Neben Landru und dem Faschisten Mussolini stehen neben ihm auch Stresemann und Briand als Wachsfiguren. Durch die laut geführten Gespräche der Besucher des Wachsfigurenkabinetts erfährt Napoleon, dass die Welt mit Blick auf Frieden und Wohlergehen seit seinem Tode nicht vorangekommen ist. Also ist die Zeit zum Handeln für Genies und Feldherren gekommen – so glaubt Napoleon. „Europa wird zum Sklaven Amerikas. Ich werde es retten. Ich bin der einzige, der es retten kann.“ (S. 265) Hasenclever kennt das Mémorial Napoleons, das dieser in seinem Exil diktierte und in dem er die Behauptung aufstellte, dass er alle Kriege nur geführt hatte, um Europa zu einen. So wie er seine Machtinteressen und seine Ruhmsucht hinter diesem angeblichen Anspruch auf Förderung Europas und seiner Menschen versteckte, so erfährt jetzt das Zuschauerpublikum des Lustspiels, dass auch hinter den Bestrebungen des Völkerbundes keine hehren Ideale stehen, sondern die amerikanische Börse ihr Geschäft machen will. „Wenn die größten Banken Amerikas Geld in eine Sache stecken, dann hat sie einen praktischen Zweck. Vielleicht kommen wir so weiter als mit unserer ewigen nationalen Rivalität.“ (S. 270) Die Schauspielerin Josephine hat ein Verhältnis mit dem amerikanischen Geldmagnaten Morris und schaut resigniert auf die Folgen des Ersten Weltkriegs:„Die Jugend, lieber Freund, liegt auf dem Schlachtfeld begraben.“ (S. 275) Die wirtschaftliche Revolution der Amerikaner „kostet mehr Geld, aber weniger Blut.“ (S. 275) Mit Blick auf das verantwortungslose Handeln der alten Generation, die schon für den Weltkrieg verantwortlich war, geschieht das Unvermeidliche: Die Profitgier führt zur wirtschaftlichen Einigung Europas. Napoleon, der im Palais Royal Zeuge dieser Verhandlungen wird, greift jetzt ein und erinnert an die Träger einer ruhmreichen europäischen Geschichte, die nur eine Maxime kennt: „Man kann die Völker nicht überzeugen. Man kann sie nur zwingen … Die Demokratie wird die Völker zugrunde richten. Der Parlamentarismus ist der größte Schwindel, mit dem ohnmächtige Parteigünstlinge die Entwicklung Europas hemmen.“ (S. 283) Napoleon spricht von Geist und Jugend, die Börse von Waffen, Geld und Markt. Nur einer Person kann Napoleon mit seiner aus der Zeit gefallenen energischen Sprache imponieren: der schönen Josephine, die er bis ins Schlafzimmer verfolgt und verführt. Der kleine, dicke Korse bekommt die schöne Französin – diese komödiantische Drehung ist witzig, geistvoll und lässt die Zuschauer über so viel Kenntnis der geheimen und offenen Wünsche von Frauen und Männern vergnügt lachen. Der historisch unsterbliche Napoleon wird im rasant erzählten Schluss des Stückes zum Schauspieler, die die Rollen des echten und des gespielten Kaisers nicht mehr auseinanderhält und aus Eifersucht fast zum Mörder wird. Es bleibt für ihn die Rückkehr ins Museum, auch die Zwischenstation des Irrenhauses dient nur zum Vertuschen politischer Absichten von Bankiers und Geschäftemachern. Napoleon und Frauenmörder Landru stehen wieder einträchtig nebeneinander und teilen zweifelhafte Weisheiten: „Man sollte jede Frau, die man liebt, umbringen … Mit Frauen hat man nur Scherereien.“ (S. 315) Napoleon kehrt als Othello zurück, doch die Besucher des Museums finden Gefallen an ihm und formulieren: „Wenn man bedenkt, was für Männer herumlaufen! Und der steht im Museum …Er war doch ein großer Mann.“ (S. 317) So ist der höchste Ruhm eines Mannes die Sehnsucht der Frauen nach ihm. Eine Pointe, die dem Damenmann Hasenclever ausnehmend gut gefällt. Landru (Masarek) überreicht Napoleon (Costa) Mussolinis Hose. (Frankfurter Zeitung)Bei einem Abenteuer hat Napoleon allerdings die Hose Mussolinis verloren, frei nach dem Motto: „Die Hose eines Diktators ist voll von Gefahren. Seien Sie froh, dass Sie keine mehr haben.“ (S. 317)
Axel Schneider, im März 2021