Erst vor wenigen Jahren tauchte ein Exemplar der bis dahin verschollenen Fassung „Ehen werden im Olymp geschlossen“ auf, mit dem Hasenclever angeblich seine Komödie „Ehen werden im Himmel geschlossen“ umgeschrieben hatte, um Gerichtsverfahren und Verboten zu entgehen. Eine eingehende Untersuchung dieser Fassung ergab, dass Hasenclever als Autor mit Sicherheit auszuschließen ist, und dass der Berliner
Arcadia-Theaterverlag selbst diese veränderte Fassung vorgenommen hatte, um nach Verboten und Strafandrohungen mit diesem Stück wieder Kasse zu machen. Hasenclever selbst erklärte, er habe mit dieser Fassung nichts zu tun.)
Hier erfahren Sie, was es mit dieser Geschichte auf sich hat.
Ein weltweit beachteter Skandal – im Buch wieder lebendig
„Ehen werden im Himmel geschlossen.“
Walter Hasenclevers Komödie wurde zwischen den Jahren 1928 und 1930 in Europa und darüber hinaus ein Skandalthema.
Nach zunächst ungehinderter hundertfacher Aufführung in Berlin gab es Protestkundgebungen, Strafanzeigen, in Wien einen Gotteslästerungsprozess und sogar Aufführungsverbote.
Warum?
Die Komödie spielt zum Teil im Himmel, wo der liebe Gott – im Golfdress – mit Heiligen sehr diesseitig argumentiert und sogar Experimente mit Ehepaaren und Liebhabern zulässt.
Der Berliner Arcadia-Bühnenverlag versuchte 1929, die Aufführungsverbote dadurch zu umgehen, dass er die inkriminierten Akte aus dem Himmel in de Götterwelt des Olymps verlegen ließ. Durch Hasenclever selbst?
Davon gingen die Bearbeiter der „Sämtlichen Werke“ 1990 in einer Feststellung aus (Band II,2, Seite 388). Die entsprechende Bühnenfassung war indes unauffindbar.
Unermüdliche Recherchen haben Erfolg
Gregor Ackermann hat vor wenigen Jahren ein Exemplar dieser umgearbeiteten Fassung entdeckt, das das Deutsche Literaturarchiv Marbach für den Hasenclever-Nachlass erwarb.
Jürgen Lauer zeichnet die Aufführungsgeschichte und den weltweit beachteten Skandal nach. Er vergleicht diese ‚olympische’ Fassung mit der Originalfassung:
Was wurde geändert und in welcher Weise?
Konnte es gelingen, den religionssatirischen Ansatz in eine antike Götterwelt zu übertragen?
War Walter Hasenclever wirklich der Autor dieser Version?
Aus einer Auswahl der Zeitungs- und Zeitschriftenbeiträge, die Gregor Ackermann ihm zur Verfügung stellte, entstand so ein Zeitbild der deutschen Nachkriegsgesellschaft, in der nach der Katastrophe des Ersten Weltkriegs die Wertegrundlagen neu erörtert wurden – in Fragen der Moral, der Rechtsgüter, des Glaubens wie der ideologischen Auseinandersetzungen.
Und darin liegt das besondere Interesse des Buches.
Denn in Frankfurt machten die Nazis bereits die dortige kirchliche Protestdemonstration gegen das Stück zu einem nationalsozialistischen Propaganda-Umzug gegen den „Verfall deutscher Kultur durch Juden wie Hasenclever“. Das gab’s also damals schon, dass Rechtsradikale einen Bürgerprotest für ihre Zwecke umfunktionierten …
Der zu dieser Zeit in Paris lebende Schriftsteller selbst war nicht der Autor dieser ‚olympischen’ Fassung, und das bedeutet eine Art Ehrenrettung, denn der „mythologische“ antike Hintergrund bietet keine überzeugende satirische Textur für die Handlung in der Moderne.
„Rettungsversuch für eine umstrittene Komödie“, verlegt in der Verlagsbuchhandlung Dr. Wolff GmbH,
Buchhandlung am Markt, Trierer Straße 788, 52078 Aachen, (ISBN 978-3-922697-37-4) ist ebenfalls vorrätig in den Buchhandlungen, die Mitglieder der Hasenclever-Gesellschaft sind:
Buchhandlung
Backhaus, Jakobstraße 13,
Buchhandlung
Schmetz am Dom, Münsterplatz 7–9,
Buchhandlung
Worthaus in Burtscheid, Gregorstraße 2.
Das Buch kann aber auch in jeder anderen Buchhandlung bestellt werden. Es hat 161 Seiten.
Sein Preis beträgt 11 Euro.
Wichtig für Mitglieder der WHG ist der Hinweis, dass der Kaufpreis in voller Höhe der Gesellschaft zugute kommt. Es geht daher an alle Mitglieder die Bitte, mit dem Erwerb des Buches die Gesellschaft zu unterstützen.
literaturkritik.de rezensionsforum
Skandale um Walter Hasenclever
Jürgen Lauer gelingt eine vorbildliche Edition
der Komödie „Ehen werden im Himmel geschlossen“
Von Werner Jung
Aus der Rezension:
Hasenclevers Komödie Ehen werden im Himmel geschlossen – das belegen insbesondere die in Auszügen mitgeteilten Rezensionen aus der nationalen wie der internationalen Presse, auf die Jürgen Lauer dank der unermüdlichen Kärrnerarbeit des Philologen und Bibliographen Gregor Ackermann zurückgreifen kann („Ackermann hat insgesamt bislang 440 Dokumente zur zeitgenössischen Rezeption erfassen können“) war als ‚das‘ Skandalstück Ende der 20er Jahre ebenso erfolgreich wie angefeindet. Allein in den Kammerspielen des Deutschen Theaters in Berlin wird das Stück 98mal in der Spielzeit 1928/29 aufgeführt. In Frankfurt dagegen – wie dann auch in der Mark Brandenburg – ruft die Inszenierung den protestantischen Klerus auf den Plan: Der Vorwurf der Gotteslästerung wird erhoben. Stinkbomben und Tränengas erzwingen den Abbruch einer Vorstellung – Dinge, die sich dann noch weiter zuspitzen, bis schließlich Aufführungsverbote ausgesprochen werden, in Deutschland, Österreich, aber auch in Schweden, Dänemark und Holland. Um seinen Kritikern, wozu Seite an Seite kirchlich-konservative Kreise neben NS-Vertretern sich in trauter Eintracht befinden, den Wind aus den Segeln zu nehmen, scheint sich Hasenclever, wie einer Notiz in der Wiener Allgemeinen Zeitung Sechs-Uhr-Blatt (13. 6. 1930) zu entnehmen ist, dazu entschlossen zu haben, eine Neufassung des Stücks vorzunehmen, in welcher die nach Ansicht der Gerichtsbehörden begangene Gotteslästerung dadurch vermieden wird, dass nunmehr an Stelle des Lieben Gottes, der Magdalena und des Petrus
Jupiter, Venus und
Peter Styx die handelnden Personen sind.
Aus dem Himmel wird nun der Olymp, und das christliche Personal wird durch Figuren der griechischen Mythologie ersetzt. Dabei kann Lauer – wieder mit dem ihm von Ackermann zur Verfügung gestellten Material – den Nachweis führen, dass es sich insgesamt um vier Bühnenfassungen der ‚olympischen Variante‘ handelt, von der freilich bislang nur eine einzige (inzwischen im Besitz des Marbacher Archivs befindliche) aufgetaucht ist, die Lauer nun abdruckt und mit der ursprünglichen Druckfassung von 1928 vergleicht. Fraglich bleibt allerdings, ob Hasenclever selbst diese Überarbeitung vorgenommen hat, oder ob diese nicht vielmehr von Dritten (etwa seiner Schwester, Vertrauten und zeitweiligen Mitarbeiterin Marita) hergestellt worden ist.
Hübsch für den Leser zu beobachten ist, dass und wie – vor allem im 1. Akt der Komödie, der ganz im Himmel resp. Olymp spielt – die Veränderungen erfolgen: Da wird aus dem verniedlichten „Peterchen“ (für Petrus) „Gany“ (für Ganymed), aus der Hl. Katharina die Hebe, werden statt der Kirchenväter die Schriften Platons gelesen und unterläuft dem Bearbeiter ein solcher Lapsus, dass an einer Stelle Zeus „an das sechste Gebot“, also ans Alte Testament gemahnt. Dennoch fällt Lauers Einschätzung der Überarbeitung der Komödie eher ernüchternd aus; denn dem ursprünglich satirischen Charakter des Stücks – „die geltenden Traditionen der christlichen Hierarchie, die geltenden Moralauffassungen und verbindlichen Verhaltensnormen gemäß kirchlicher Setzungen“ zu attackieren – ist der Zahn gezogen worden, der „Knall-Effekt“ ist dahin.
Vorbildlich ist diese Edition deshalb zu nennen, weil es ihr gelingt, auf philologischem Terrain einige Ungenauigkeiten und Ungereimtheiten, die die Hasencleversche Werkausgabe im Blick auf die Überlieferungslage des Stücks enthält (vgl. Walter Hasenclever: Sämtliche Werke, Bd. II,2 Stücke 1926-1931. Bearbeitet von Annelie Zurhelle und Christoph Brauer. Mainz 1990, S. 388) zu klären und weiterhin durch einen akkuraten Textvergleich zwischen der Druckfassung von 1928 und dem vorliegenden Theaterdruck deutlich zu machen, wie eine (uns heute als vergleichsweise harmloses Boulevardstück anmutende) Komödie unter dem Druck einer aufgeheizten politischen und gesellschaftlichen Atmosphäre – hingewiesen sei auf die von Lauer auf zwanzig Seiten wiedergegebenen Rezeptionszeugnisse von links bis rechts außen – verändert worden ist.
Ein Beitrag aus der Redaktion Gegenwartskulturen der Universität Duisburg-Essen
https://literaturkritik.de/public/rezension.php?rez_id=27517