Barbara Schommers: Hasenclever heute

Dr. Barbara Schommers-Kretschmer

Walter Hasenclever – heute

Versuch einer Annäherung

(Auszüge aus einem Vortrag, gehalten am 3. Mai 2017)

  Bei zeitgenössischen Autorinnen und Autoren finden sich Themen oder Mittel, die Nähe zum Werk Walter Hasenclevers aufweisen. Mit dem Untertitel Versuch einer Annäherung möchte ich zum umgekehrten Gedankenspiel einladen: Wie würde Walter Hasenclever als zeitgenössischer Autor schreiben? Welches wären seine Themen und welche Mittel, Genres würde er nutzen? Zunächst möchte ich kurz die philosophischen Kernaussagen Hasenclevers zusammengefasst in Erinnerung bringen. Bereits in sehr jungen Jahren verfasst Hasenclever kultur-philosophische Fragen als Kritik in Aufsätzen, Gedichten und vor allem Dramen. Hier sind es zunächst die Positionen Friedrich Nietzsches, als Vorbild für eine vitale, radikale Kulturkritik, und Arthur Schopenhauer, mit nicht minder radikaler Kritik, allerdings mit der Zielsetzung buddhistischer Einkehr. Hasenclever entscheidet sich bereits im Frühwerk für die resignative Philosophie Schopenhauers – gegen die hedonistische, die aktive, handlungsoptimistische Nietzsches. In seinem Werk wird Hasenclever allerdings immer wieder die nicht nur westliche Frage nach dem Handlungsspielraum des Menschen gegenüber der unterstellten Allmacht des Schicksals diskutieren. 1922 unterzieht er seine Arbeit als Künstler einer grundlegenden Reflexion anhand der Schriften Emanuel Swedenborgs (1688–1772), denn die anzustrebende buddhistische Resignation entlässt den Menschen ja keineswegs aus der Verantwortung für sein Handeln, sondern stellt es vielmehr unter den weitaus höheren Anspruch des Karma im Sinne einer Weltethik bzw. eines Korrektivs des egoistischen Wollens. Wenn wir also alle Bestandteile eines Welt-Wirs sind, tragen wir alle eine erhebliche Verantwortung. Im Positiven verbessern wir die Welt durch Einsicht und ethisches Handeln, im Negativen führen unsere vielfältigen Egoismen in die allgemeine Katastrophe. […] Grundsätzlich ist Walter Hasenclever von der Allmacht des Schicksals als einem Naturgesetz überzeugt. Das Schicksal ist das Gleichgewicht der Welt. Daran rühren nur Irrsinnige und Verbrecher. Auch die oberste Maxime entlässt den Menschen allerdings nicht aus seiner Verantwortung, ist keine Aufforderung zu Passivität oder gar Depression. Sie ist lediglich ein Korrektiv gegen Größen- und Machbarkeitswahn. […] Eine besondere Bedeutung hat der Gedanke des Gleichgewichts in der Ökologie und hinsichtlich der ethischen Fragen an die Wissenschaft – 1922 und erst recht heute. Walter Hasenclever beschreibt das Dilemma bereits 1924 in seinem Nachwort zur Swedenborg-Nachdichtung: „…aber die Mächte, die wir beherrschen, werden sich einst gegen uns selber kehren, wenn die misshandelte Natur in einem ungeheuren Chaos ihre Peiniger begräbt und an ihren eigenen Erfindungen ersticken lässt.“ Im Zuge einer umfassenden Wissenschaftskritik zeigt Hasenclever sich auf dem Wissensstand ebendieser. Und bei aller Kritik an der Entwicklung der Technik nutzt er diese durchaus in seinem persönlichen Alltag. Ähnliches gilt für seine grundsätzliche Kritik am oberflächlichen Amüsement der zwanziger Jahre. Vor allem sieht er es als seine Aufgabe/Berufung, angesichts der vorherrschenden materialistischen Lebensart die Welt des Geistigen emphatisch ins Licht zu setzen. Im Nachwort zur Swedenborg-Nachdichtung setzt er, der von Jugend an das Christentum und später alle monotheistischen Religionen grundlegend kritisiert, auf starkes religiöses Pathos. Anfang der 1920er Jahre sollte man diese von Hasenclever wahrgenommene Krise durchaus als Folge bzw. als Versuch interpretieren, die Erlebnisse des Ersten Weltkriegs zu verarbeiten. Er setzt hier bereits den Begriff Kunst neben den der Religion, der letzteren bald ganz ersetzen wird, unter das Primat der Liebe. […] Nach der kulturkritischen Streitschrift im Namen einer Rückbesinnung oder Neuorientierung auf das Geistige hin anhand des Leitbildes Emanuel Swedenborg beginnt Hasenclever aufs Neue mit der Arbeit als Dramatiker. Er greift als Korrespondent für deutsche Zeitungen in Paris den Alltag als völkerverbindendes Thema auf und findet schließlich zum allegorischen sowie zum realistischen Roman. Der Buddhismus sowie die Philosophie Schopenhauers bleiben für Hasenclever grundlegend und werden ab 1922/24 durch das Weltbild Swedenborgs, Buddha des Nordens, poetologisch weiterentwickelt. Durch dessen Lehre von den Entsprechung gelangt Hasenclever zur Allegorie, durch Swedenborgs innere Höllen, die nach dem Tod weitergelebt werden, zur Komik und zu einem dem westlichen Denken näheren Läuterungsprozess (vgl. Dante: Divina Commedia). 1925 veranschaulicht Hasenclever mit der Komödie Mord das dieser vorangestellte Buddha-Zitat: Drei Arten, Tapassi, von Taten gebe ich als möglich an, um böse Tat zu tun, um böse Tat zu begehen: nämlich Taten in Werken, Taten in Worten und Taten in Gedanken. Von diesen drei Arten, Tapassi, der Taten, die also eingeteilt, also unterschieden werden, gebe ich Taten in Gedanken als übelste an. Mit einer weiteren philosophischen Komödie Ehen werden im Himmel geschlossen (1928) stellt Hasenclever die Allmacht des Schicksals dar: Gegen diese ist selbst der Liebe Gott machtlos und lässt den Dingen deshalb lächelnd (!) ihren Lauf. Poetische Liebe mit dem hoffnungsvollen Ausblick auf die Kunst/Literatur beschreibt Hasenclever in Münchhausen sowie am Schluss von Irrtum und Leidenschaft (1934/39). Politische Themen stellt Walter Hasenclever satirisch dar, z. B. Napoleon greift ein (1929/1930) oder und vor allem Konflikt in Assyrien (1938/1939). Fazit Walter Hasenclever würde heute wohl heute seine philosophischen Grundüberzeugungen, basierend auf Buddhismus, Schopenhauer und Swedenborg, bestätigt sehen. Und er würde es wohl weiterhin als seine Berufung als Künstler verstehen, im Sinne der Einheit der Welt gerade unser westliches Denken zu missionieren, gegen persönliche wie nationale Egoismen. So postuliert Hasenclever eine ‚Zweite Aufklärung’: Die Emanzipation des Objekts auf der Basis der Verneinung.   Hasenclever zu heutigen Themen: Theater Setzen wir die Vielfalt der dramatischen Arbeiten (Experimentelles Theater, Schauspiel, Reflexion, Komödie) Walter Hasenclevers in Bezug zu aktuellen Fragestellungen, sind folgende Themen denkbar: Politik Umgang mit Nationalsozialismus nach 1945 (vgl. Delius 2004), Globalisierung, Europa Wissenschaft Klima, Medizin, Psychologie, Smartphones/ Soziale Netzwerke, Raumfahrt Ideologien Weltanschauungen, Religion, Kunst – Ideal und Markt Wirtschaft Finanzkrisen   Hasenclever zu heutigen Themen: Roman Die allegorische Darstellung zeitgeschichtlicher Entwicklungen im Roman Irrtum und Leidenschaft oder die Frage nach der Ethik angesichts zugespitzter Zeitumstände in Die Rechtlosen könnten heute Vorbild für den künstlerischen, aktuellen Diskurs sein:  
  1. Der allegorische Roman
Fortsetzung von Irrtum und Leidenschaft Zeitgeschehen  anhand der Leidenschaften (Triebstruktur) und Irrtümer (Weltanschauung) Literarische Geschichtsschreibung, evtl. auch als Zuschreibung an Persönlichkeiten
  1. Der realistische Roman
2.1 Die Rechtlosen persönliches Erleben, den Ausnahmezustand imaginieren 2.2 Vgl. Beigbeder: Windows on the World (2001 / erfinden) Themen: Lager, Katastrophen, Utopien, Weltraum (vgl. Boyle: Die Terranauten)   Hasenclever zu heutigen Themen: Berichterstattung Themen der journalistischen und essayistischen Arbeiten könnten heute in folgenden Bereichen angesiedelt sein:   Berichterstattung / Kleine Texte: Beobachter von Weltkonferenzen, Finanzabkommen, Klimakonferenz, UNESCO etc. Erlebnisberichte / Feuilletons: Afrika, Asien Ideologienkritik