Walter Hasenclever –
Literarischer Vertreter der deutschen Moderne,
Gesellschaftskritiker und Europäer
Der junge Poet und Protagonist des Expressionismus
Der Schriftsteller, Journalist, Pazifist und Europäer Walter Hasenclever wurde am 8. Juli 1890 in Aachen geboren. Nach Studien in Oxford, Lausanne und Leipzig fand er in der Freundschaft mit Schriftstellern wie Franz Werfel, Verlegern wie Ernst Rowohlt und Malern wie Oskar Kokoschka seine Welt und seine Berufung als Dichter. Kokoschka nannte das Bild, das er 1917 von Hasenclever und Alma Mahler gemalt hatte, Liebespaar mit Katze. Mit Lyrik und Theaterstücken hatte er erste Erfolge. Einer größeren Öffentlichkeit wurde er besonders durch sein Drama „Der Sohn“ bekannt, das, ein Jahr vor Kriegsausbruch entstanden, später vom bedeutenden Regisseur Max Reinhardt inszeniert und als eines der ersten Meisterwerke des expressionistischen Schauspiels gefeiert wurde.Der politische Dichter und Pazifist
Seine anfänglichen Erwartungen, der 1. Weltkrieg werde einer geistigen Erneuerung und so einer neuen Epoche den Weg bereiten, wurden jedoch schnell enttäuscht. Er wurde zum bedingungslosen Pazifisten. Vor allem das zerstörte Löwen, das er auf Reisen durch das besetzte Belgien sah, erschütterte ihn so, dass er noch im Kriegsjahr 1916 ein Gedicht „Gottes Hand in Löwen“ verfasste, das das Grauen der sinnlosen Zerstörung festhielt: O Schreckensnacht Löwen, wir alle sind schuldig. Gott floh aus den Kirchen der brennenden Stadt. Kanäle verwesen, Abfluss der Toten. Arme irre, verfallene Frau gräbt in den Scherben, scharrt in den Kellern Verschüttete aus gequollenem Schrei. Verbogene Straßen lagern im Haufen der grauen Verwüstung. Als Soldat in Mazedonien begann er 1916, den antiken Stoff „Antigone“ zu einem Antikriegsdrama zu verarbeiten. Persönlich, wie aus einem Brief hervorgeht, verstand er das Stück als einen „Kampfruf gegen das Machtprinzip“. Er ließ die todgeweihte Antigone ausrufen: Ich rede zu euch Witwen und Waisen, die ihr heimkehrt in die einsamen Hütten, wo die Seufzer der Erschlagenen von den feuchten Steinen des Herdes schrecken in euren Abendtraum: Wollt ihr, dass eure Kinder, überschrien vom Ruhm des Schlachtrufs, euer elendes Schicksal teilen? 1917 wurde dieses Werk mit dem Kleistpreis ausgezeichnet.Der Philosoph des Jenseits und der Mahner
Doch die revolutionären Ereignisse am Ende des Krieges stießen ihn ab. Er zog sich in die schriftstellerische Tätigkeit zurück, schrieb Lyrik und dramatische Werke wie „Jenseits“ und befasste sich vorwiegend mit dem schwedischen Mystiker Emanuel Swedenborg, dessen lateinische Werke er nachdichtete. Im Nachwort zu dieser Veröffentlichung formulierte er in analytischer Schärfe das, was im Kriegserleben eher ein Aufschrei der Erschütterung gewesen war: „Das Weltgeschehen der letzten Jahre, für das der höchste wie der geringste Mensch auf Erden in gleicher Weise die Verantwortung trägt, und das so schnell der Vergessenheit anheimfiel, war in seiner allgemeinen Auswirkung nichts anderes als der natürliche Werdegang des Einzelnen: die niedrigen Instinkte jedes Menschen, durch keine Gewissensmacht gebunden, durch die falsche Phraseologie einer ins Gegenteil verkehrten Sittlichkeit zum Heldentum gesteigert, brachen plötzlich aus dem Dunkel des bürgerlichen Lebens auf, alle die kleinen unterirdischen Ströme verborgener Bosheit und Selbstsucht sprengten die Dämme einer brüchigen Weltordnung und vereinigten sich zu einem Meer von Mord, Gewalt und Plünderung. So entstand der Krieg.“Dieses Porträt Hasenclevers schuf der Fotograf Hugo Erfurth 1919. © Deutsches Literaturarchiv Marbach
Der Journalist und Befürworter europäischer Verständigung
Von 1924 bis zum Ende der Zwanziger Jahre lebte Hasenclever in Paris als Korrespondent für das Berliner „8 Uhr-Abendblatt“. Diese Aufgabe war nicht einfach, schrieb er doch für eine deutsche Leserschaft, die nach dem Vertrag von Versailles und der Besetzung des Ruhrgebiets und des Rheinlands durch französische Truppen wenig Anlass hatte, Frankreich als Gegenstand ihres Interesses oder ihrer Sympathie zu sehen. Er lernte in Paris den Freund seines Lebens kennen, den Schriftsteller und Journalisten Kurt Tucholsky (1890–1935), mit dem zusammen er auch das Theaterstück „Christoph Kolumbus“ verfasste. (© DLA Marbach) Er fand in seinen Berichten aus Paris manche Gelegenheit, den Friedenswillen und ein friedliches Zusammenleben der Völker Europas zu beschwören. Auch in aphoristischer Kürze, wie nebenbei, schließt ein feuilletonistischer Beitrag aus Nizza mit der Erwähnung von Kanonen, die dort von der Küste in den Himmel ragen: „Werft die Kanonen zum alten Eisen.“Der Erfolgsautor gesellschaftskritischer Komödien und Satiriker
Hasenclever lernte in Frankreich an den großen französischen Lustspieldichtern, wie in Komödien durchaus Menschenkenntnis und Lebensklugheit zu literarischem Esprit verdichtet werden können. Er wollte der deutschen Literatur die Komödie französischer Leichtigkeit schenken, und in der Tat wurde er in der zweiten Hälfte der zwanziger Jahre mit Komödien wie „Ein besserer Herr“ oder „Ehen werden im Himmel geschlossen“ zum meistgespielten deutschen Bühnenautor. Aber er blieb misstrauisch gegenüber macht- und gewaltgeprägten Tendenzen.Der heimatlose Europäer
Seine kulturelle Heimat sah er in Frankreich, nicht erst, seit ihn die Nationalsozialisten seiner deutschen Staatsbürgerschaft beraubt hatten. Aber das Misstrauen und die Kriegsangst dort brachten ihm mehrfach Internierungen ein, die er in seinem letzten Roman „Die Rechtlosen“ von 1939 mit den bitteren Worten kommentierte: „Was sind wir eigentlich? Deutsche waren wir einmal. Juden können wir nicht werden. Frankreich lehnt uns ab. Amerika verschließt sich. Vom Völkerbund wollen wir schweigen. Was bleibt noch? Wir haben unsere Wurzeln ausgerissen und stolpern mit jedem Schritt doch über sie. Wir sind wirklich heimatlos.“ Doch wusste er auch, dass der wahre Widerstand gegen diese tödliche Ausgrenzungs- und Vernichtungsmacht nur der geistige Widerstand sein konnte. Auch seine Europaidee war immer verbunden mit dem direkten Austausch und der geistigen Verbundenheit der Individuen. Dies war keine ideelle Schwärmerei für ihn, sondern er sah keine Alternative dazu. In seinem Roman „Die Rechtlosen“ lässt er seinen Freund, den Schriftsteller Franz Hessel, im Internierungslager sagen: „Wir sollen uns nicht beirren lassen. Wir winzige Minorität wollen den Funken des Prometheus bewahren: den heiligen Funken, der das Feuer entzündet, wenn die Eiszeit der Barbaren vorüber ist. Richten wir unsere Blicke in die unerloschene Ferne menschlicher Gesittung.“ Mit dem Einmarsch der deutschen Wehrmacht im Mai 1940 in Südfrankreich kam Hasenclever in das Internierungslager Les Milles, in eine stillgelegte Ziegelei bei Aix-en-Provence. Dort starb er am 21. Juni 1940 an einer Überdosis Veronal. Er folgte damit seinen Freunden Kurt Tucholsky und Ernst Toller und ging anderen voraus, wie Walter Benjamin und Stefan Zweig.J. Lauer