Ein Lustspiel in zwei Teilen von Walter Hasenclever
(Vorbemerkung: Die Zitate beziehen sich auf die Reclam-Ausgabe Stuttgart 2012)
Im Kino der dreißiger Jahre gab es die screwball comedy: Eine in Teilen absurde Liebesgeschichte war in Dialog, Tempo und Witz so unterhaltsam, dass Millionen Katherine Hepburn und Cary Grant sehen wollten, wenn sie sich nach 90 Minuten endlich in den Armen lagen. Hasenclevers „Besserer Herr“ ist eine screwball comedy auf der Bühne, die förmlich nach einer Verfilmung schreit, die es dann auch prompt gab und von Hasenclever als indiskutabel (!!) eingestuft wurde. Schade, ich kenne den Film aus dem Jahre 1928 nicht, der zwei Jahre nach dem Verfassen des Lustspiels gedreht wurde – vielleicht würden wir uns heute mit dem Film genauso gut amüsieren wie bei der Lektüre des Stücks.
Zum Inhalt:
In den fünf Szenen des ersten Teils lernen wir zunächst die Industriellenfamilie Compass kennen, mit dem stets beschäftigen Vater an der Spitze, der hilflosen und betrogenen Ehefrau an der Seite und den beiden gerade erwachsenen Kindern Lia und Harry. „Zur Sache“ ist das Motto auf allen Gebieten, egal ob geschäftlich oder privat. So muss jetzt auch die neunzehnjährige Tochter Lia verheiratet werden, aus Geschäftsgründen bitte keine Liebesheirat, sondern gefragt sind „in unserer Zeit“ (S.6) schnelle Entschlüsse und klare Dispositionen. „Die Hochzeit ist eine Gründung, die Ehe eine Firma und das ganze Leben ein Kontobuch.“ (S.14) Die Tochter geht mit der modernen Zeit, ihre Heiratsannonce muss klar, übersichtlich und „gut stilisiert“ sein. Denn: „Wenn mir wirklich mal einer gefiele, ich würde mich auch verlieben.“ (S.10)
Jetzt ist es Zeit für den „besseren Herrn“ Möbius, der in der zweiten Szene die „reifere Dame“ Schnütchen mit Heiratsversprechungen finanziell über den Tisch zieht. Bei der Zeitungslektüre mit der Heiratsanzeige Lias weiß er, was er will, um sich zu sanieren. Er stürmt in sein Büro, wo er mit der Hilfe des Steuerfachmanns Rasper seine Gelder sortiert, die er aus seinen Heiratsschwindeleien bezieht. Und Briefe für alle Damen hat er auch in der Kartei. Das Treffen mit Lia wird präzise geplant, das Motto lautet: „Sachlichkeit – mit einem Schuss Romantik.“ (S.26)
In der Zwischenzeit versucht Frau Compass, mit der Hilfe eines Detektivs zu verhindern, dass Lia in die Hände eines Schwindlers fallen könnte. Harry nutzt diese Situation zu seinem finanziellen Vorteil aus und entdeckt seine Liebe zum Hausmädchen Aline, die Briefe an den ihr unbekannten Möbius schreibt! So schließt der erste Teil mit dem Treffen Lias mit Möbius im Park, es soll „zur Sache“ geredet werden, aber schnell nehmen die Gefühle überhand: „Sie gefallen mir!“ sagt Möbius (S.33), der eiskalt rechnende Heiratsschwindler ist am Ende seiner Weisheit. Manches ist eben nicht nur eine „Nützlichkeitsfrage“! (S.33) Endlich langweilt sich Lia nicht mit einem Mann. Selbst zum Schwindeln fordert sie ihn mit großen Augen auf! Möbius kann nur noch stammeln: „Ich bin nicht der Mann, den Sie suchen. Ich bin – etwas ganz anderes!“ (S.38)
Im kürzeren zweiten Teil wird die Frage gelöst, wie die betrogenen reiferen Damen ohne Groll von Möbius Abschied nehmen. Der Industrielle Compass zeigt sich vom Geschäftsgebaren des zukünftigen Schwiegersohns beeindruckt, die Damen liefern Möbius, der sie glücklich gemacht hat, nicht an die Polizei aus. Keine Anzeige, Lia und Harry bekommen die gewünschten Partner, Möbius ist ein freier Mann. Und wie er das alles hinkriegt, das ist sein „Geschäftsgeheimnis“. (S.61)
Zum Thema: Die neue Sachlichkeit hat in der Liebe Einzug gehalten, mit der Liebe lässt sich wunderbar ein einträgliches Geschäft machen, wenn man so gerissen, witzig und skrupellos wie der Heiratsschwindler Möbius vorgeht. Doch zu unser aller Überraschung erwischen auch ihn bei seiner Suche nach Geld und Anerkennung in einer komplett vom Kommerz bestimmten Gesellschaft die Gefühle: Möbius verliebt sich in Lia, die auf „moderne“ Art und Weise per Annonce einen Mann sucht und ganz dem Wahlspruch des Vaters und erfolgreichen Geschäftsmannes Compass folgt: „Eine moderne Ehe muss auf sachlicher Basis aufgebaut werden.“ (S.11) Sein Kompass ist für alle Dinge des Lebens der wirtschaftliche Erfolg, dem Familie und andere Verpflichtungen unterzuordnen sind. Die Hektik der Gegenwart macht für ihn deutlich: „Wir haben keine Zeit mehr, unglücklich zu sein.“ (S.12) Ein Heiratsschwindler, der sich verliebt. Eine Industriellentochter, die eine Ehe als Investition sieht. Ein Sohn, der die Hausangestellte liebt und für sie aus seinem Lotterleben kurzzeitig erwacht: Figuren einer überdrehten Komödie, die nichts, aber auch gar nichts mit einer ernsthaften Gesellschaftsanalyse zu tun haben will – zumindest auf den ersten amüsierten Blick. Doch wie im richtigen Leben kommen sich sachliches Kalkül und Emotionalität in die Quere – und die Liebe siegt, denn sonst wäre es auch keine Komödie! „Der größte Gauner unserer Zeit“ (S.54), der Heiratsschwindler Möbius, entgeht nicht nur allen rechtlichen Konsequenzen aus seinen jahrelangen Betrügereien, sondern wird in afrikanische Gefilde als glücklicher Bräutigam der schönen Lia entlassen.
So lautet der Schlusssatz des besseren Herrn Möbius: „Es lebe das Geschäft!“ (S.62)
Was macht uns Freude beim Lesen und Zusehen des komödiantischen Geschehens? Weibliche Eitelkeit bekommt ihr Fett weg, wenn sich zur großen Freude Lias zwei Männer für sie schlagen wollen. Der coole Geschäftsmann Compass wird von einem Heiratsschwindler übertölpelt. Die überforderte Polizei muss Möbius laufen lassen. In allen Dialogen geht es Schlag auf Schlag. Der Regisseur einer modernen Inszenierung würde vielleicht so besetzen: Jella Haase als Lia, Albrecht Schuch als Herzensbrecher Möbius, Kai Wiesinger in der Rolle des Industriellen Compass, Jessica Schwarz als seine Ehefrau. Und wenn Lia DAS KAPITAL für einen Film der Marx-Brothers hält, dann kommen auch ältere Cineasten auf ihre Kosten.
Und ganz nebenbei fragen wir uns: Auf welcher Basis ist eigentlich meine Beziehung oder Ehe aufgebaut? Wie ist es mit meinem täglichen Zeitplan bestellt?
Und nach wie viel Gefühl gieren wir eigentlich in unserer (vordergründig) rationalen Geschäftswelt?
Die Antwort Hasenclevers: Lass dich überraschen von dem, was alles möglich ist – und nimm es dann bei aller doch manchmal gebotenen Ernsthaftigkeit mit Humor!